Use it or lose it – Warum Knobelaufgaben gut für unser Gehirn sind

von Annika

Man hört und liest immer wieder, dass sogenanntes Gehirnjogging so gut für unseren Denkapparat sei. Aber warum eigentlich? Was passiert in unserem Gehirn, wenn wir es beanspruchen und was passiert, wenn wir es einfach bleiben lassen?

Unser Gehirn wirkt auf den ersten Blick wie ein fest verdrahtetes System. Es ist in klar definierte Bereiche gegliedert, deren Namen viele schon einmal gehört haben: Großhirn, Kleinhirn, Kortex, Thalamus – und noch einige mehr. Jeder dieser Bereiche scheint für eine bestimmte Aufgabe zuständig zu sein: Der Motorkortex steuert Bewegungen, der visuelle Kortex verarbeitet Sinneseindrücke, der Hippocampus speichert Erinnerungen, und im Mandelkern entstehen Emotionen. Das klingt, als wäre alles streng hierarchisch organisiert und als würde Denken einfach aus dem Zusammenspiel fester Bausteine entstehen. Aber genau das stimmt nur zur Hälfte. Denn in Wahrheit ist unser Gehirn alles andere als starr: Auf mikroskopischer Ebene ist es ein Leben lang flexibel und anpassungsfähig – und genau das macht Lernen, Verstehen und kreative Lösungen überhaupt erst möglich. 

Ein Baum im Wind

 

Ein menschliches Gehirn besteht aus etwa 86 Milliarden Nervenzellen, die im Grunde alle gleich aufgebaut sind. Sie sind elektrisch erregbar, leiten also Strom, und genau das ist letztlich ihre zentrale Funktion. Jede Nervenzelle hat anatomisch die Struktur eines Baumes. Mit weit verzweigten Ästen, den Dendriten, nimmt sie Kontakt zu anderen Nervenzellen auf und sammelt von ihnen Eingangssignale. Diese werden im Zellkörper verrechnet und führen in ihrer Summe, wenn ein spezifischer Schwellenwert überschritten wird, zu einem elektrischen Ausgangssignal über den Baumstamm, das Axon. Jede Nervenzelle hat nur einen Baumstamm und kann entsprechend nur ein einziges und stets gleich starkes Ausgangssignal abgeben. Über ein wiederum weit verzweigtes Wurzelsystem wird dieses Ausgangssignal an viele unterschiedliche Nervenzellen weiter geleitet. Auf diese Weise kann jede einzelne der 86 Milliarden Nervenzellen mit bis zu 10.000 anderen Nervenzellen in Kontakt stehen – ein dichtes, lebendiges Netzwerk.


Diese Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen, sogenannte Synapsen, beinhalten das Geheimnis der Plastizität unseres Gehirns – die Fähigkeit, sich strukturell und funktionell an neue Anforderungen anzupassen. Sie haben nämlich zwei markante Eigenschaften:

 

  1. Synapsen bilden sich ständig neu

Nervenzellen sind in Bewegung. Sie strecken ihre Fortsätze wie feine Ärmchen aus, um neue Nachbarn zu erreichen. So entstehen in unserem Gehirn permanent neue Synapsen. Unterschiedliche biochemische Prozesse wirken hier auf die winzigen Zellfortsätze ein, die dieses Wachstum begünstigen oder behindern können. Natürlich muss dieses Wachstum gesteuert werden, um den klaren strukturellen Aufbau des Gehirns zu erhalten, aber es gibt einen großen Spielraum. Ein Schlüssel hierzu ist Aktivität. Denn:

 

  1. Nur aktive Synapsen bleiben erhalten

Die Effizienz der Signalweiterleitung wird an den Synapsen stets verfeinert und dem Bedarf angepasst. Erreicht ein elektrisches Signal die Synapse, werden chemische Botenstoffe ausgeschüttet, die von der Folgezelle wahrgenommen werden und dort zu einem chemischen Eingangssignal führen. Das Signal wird von einer Zelle auf die andere Zelle übertragen. Wird nun eine Synapse häufig benutzt, dann wird mehr Botenstoff zur Verfügung gestellt und entsprechend auch freigesetzt. Dadurch entsteht (bei gleichem Startsignal!) eine Verstärkung der Übertragung auf die Folgezelle, die wiederum in einem Feedbackmechanismus die Stabilität der Synapse und die Vitalität der vorgeschalteten Nervenzelle steigert. Dies führt dazu, dass sich auch die Aktivität beider Zellen bei der Suche nach neuen Kontakten erhöht, wodurch wiederum sich weitere Synapsen zwischen diesen Zellen bilden. All diese Prozesse führen in der Summe dazu, dass das Gesamtsignal der ersten Zelle auf die zweite stetig verstärkt wird und alle beteiligten Zellen vital sind.

 

Wird allerdings eine Synapse wenig oder gar nicht benutzt, dann läuft dieser Prozess quasi entgegengesetzt: Es werden weniger Botenstoffe bereitgestellt, das weitergeleitete Signal wird mit der Zeit immer schwächer, die Stabilität der Synapse sinkt und schließlich bildet sie sich zurück. In einem agilen Netzwerk ist auch dieser Prozess wichtig um quasi die schärfe der Leistung des neuronalen Netzwerkes zu garantieren. Wenn aber sehr viele Synapsen ungenutzt bleiben und sich zurückbilden, wird die Aktivität der Zellen insgesamt geschwächt und die Zellen reduzieren ihre Aktivität bei der Bildung neuer Synapsen. 

  

Was bedeutet das nun in der Praxis?

 

Wenn wir etwas aktiv lernen wollen, z.B. Vokabeln, dann erreichen wir dies am besten durch mehrmaliges Wiederholen. Die beteiligten Synapsen werden immer wieder aktiviert und festigen sich. Ich kann mir die Vokabel schließlich merken und zwar genauso lange, wie ich sie ab und an benutze. Wenn ich sie aber irgendwann nicht mehr benutze, weil ich z.B. in meinem Alltag selten Latein spreche, dann werde ich sie wieder vergessen. Das ist erstmal ok, wenn ich mich dafür auf andere Dinge stürze, die meine Zellen aktiv halten: eine andere Fremdsprache, Philosophie oder naturwissenschaftliche Blogtexte. So können sich inhaltliche Schwerpunkte ändern, wofür neue Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen nötig sind, aber das System als Ganzes bleibt aktiv und damit vital.

 

Kommen wir zurück zum Gehirnjogging. Wenn wir uns also ab und mit Denkaufgaben beschäftigen, die unsere Konzentration erfordern, dann aktivieren wir Teile unseres Gehirns und begünstigen damit sowohl eine Festigung bestehender Synapsen, als auch die Ausbildung neuer. Wir halten die Netzwerke aktiv. Wenn wir hingegen unser Gehirn nicht regelmäßig fordern, verkümmern unsere Synapsen. Dadurch verlieren wir nicht nur eine Vokabel aus dem Gedächntnis, sondern irgendwann auch die Fähigkeit, uns neue zu merken.

 

Dieser Effekt spielt besonders im Alter eine wichtige Rolle. Denn hier lässt die Vitalität der Nervenzellen allein durch natürliche Alterungsprozesse nach nach und es werden weniger Synapsen neu gebildet. Dadurch ist es umso wichtiger, die grauen Zellen aktiv zu halten. Ob man das nun durch Kreuzworträtsel macht, durch ein aktives Sozialleben, eine Gasthörerschaft an der Uni oder dem Verschlingen von Romanen ist dabei nebensächlich, hauptsache aktiv im Kopf. Wer sich und sein Gehirn aber gehen lässt, sich lieber berieseln lässt, anstelle selbst aktiv zu denken, der verspielt die Fähigkeit im Alter noch lange geistig fit zu bleiben. 

 

Im englischsprachigen Raum gibt es hierfür eine Phrase: Use it or lose it!

Nutze es, oder verliere es! 


Na, Lust auf ein Rätsel bekommen?

Finde in diesem Buchstabenquadrat 8 Fische.




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Kommentare: 1
  • #1

    Edeausdemaltenheim (Montag, 13 März 2017 15:10)

    Juchhu - bei mir hat sich eine neue Synapse gebildet, sonst hätte ich niemals als neunten Fisch den Edelmub gefunden. Es handelt sich um einen kleinen, aber erfolgreichen Raubfisch in den Gewässern vor Süd-Srilanka. :-)