Warum Nacktmulle uns helfen können länger zu leben

Langlebigkeit ist schon immer ein wichtiger Aspekt in der Forschung gewesen. Viele Erkenntnisse können aus Regionen mit besonders vielen sehr alten Menschen wie Okinawa oder Sardinien gewonnen werden. Ein ganz anderer Ansatz ist die genaue Betrachtung sehr alt werdender Tiere. Nacktmulle werden für Nagetiere erstaunliche 30 Jahre alt, denn sie haben unterschiedliche Mechanismen entwickelt, den natürlichen Alterungsprozess zu verlangsamen.

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Die Mechanismen des Alterns beruhen in erster Linie auf der begrenzten Fähigkeit zur Regeneration. Jeder Mensch sammelt im Laufe seines Lebens unterschiedliche Schäden an, sei es durch Umweltgifte, UV-Strahlung, Verletzungen, Krankheiten oder den ganz normalen Stoffwechsel. Besonders am Gehirn werden diese Prozesse schnell sichtbar, indem Konzentrationsfähigkeit und Gedächtnisleistung nachlassen. Durch eine gesunde und bedachte Lebensweise ist es möglich, diese natürlichen Prozesse zu verlangsamen und damit die Lebensspanne gewissermaßen zu strecken. Dabei spielen Ernährung sowie körperliche und geistige Fitness eine entscheidende Rolle.

 

Doch ein Aspekt lässt sich nur wenig beeinflussen. Die Entstehung von Tumoren. Klar erhöht Rauchen das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken oder häufiges exzessives Sonnenbaden das Risiko für Hautkrebs, aber die genauen Mechanismen sind noch nicht eindeutig verstanden. Es geht um Risiken und nicht um Gewissheit. So gibt es gesunde 80 Jahre alte, braun gebrannte Raucher oder junge Menschen, in denen sich ein tödlicher Tumor bildet, einfach so.

 

Gerade die Krebsforschung untersuchte lange Zeit eher kurzlebige Nagetiere wie Mäuse und Ratten. Diese Tiere haben einen schnellen Stoffwechsel, eine hohe Reproduktionsrate und entwickeln natürlicherweise im Alter schnell Tumore. Viele Kenntnisse zur Tumorentstehung stammen von diesen Tieren. Um allerdings zu verstehen, wie sich diese Entwicklung bei Menschen verlangsamen oder sogar vermeiden lässt, müssen Tiere betrachtet werden, die andere Eigenschaften mit sich bringen.

 

Nacktmulle bekommen kein Krebs

 

Nacktmulle sind in vielerlei Hinsicht bemerkenswerte Tiere. Den meisten sind sie aufgrund ihrer subjektiven Hässlichkeit bekannt, da die schrumpeligen Nager mit ihren riesigen Frontzähnen nicht in das Bild eines Tieres passen, das wir als niedlich bezeichnen würden. Für die Erforschung von Langlebigkeit sind sie allerdings von großer Bedeutung. Nacktmulle erreichen nämlich, zumindest für die Maßstäbe von Nagetieren, ein ungewöhnlich hohes Alter. Das liegt vor allen daran, dass sie im Gegensatz zu Mäusen und Ratten im Laufe ihrer Evolution einen besonders gefährlichen Feind besiegt haben: Krebs. Nacktmulle können keine Tumore entwickeln. Auch andere alterstypische Erkrankungen wie Arteriosklerose oder der Verfall geistiger Leistungen im Alter kommen bei Nacktmullen kaum vor. Rochelle Buffenstein vom Forschungsunternehmen Calico in San Francisco beschreibt in Science, dass Nacktmulle scheinbar die einzigen Säugetiere sind, bei denen ein biologisches Gesetz nicht greift: Mit steigendem Alter erhöht sich die Sterblichkeitsrate.

 

Rein rechnerisch verdoppelt sich für den Menschen das Sterberisiko ab dem 30. Lebensjahr etwa alle 8 Jahre und steigt so konstant an. Beim Nacktmull nicht. Das Sterberisiko von Nacktmullen bleibt ab der Geschlechtsreife fast ihr ganzes Leben konstant niedrig und steigt erst im hohen Alter massiv an. Laut Buffenstein ist dies einzigartig.

 

Eine Studie aus dem Jahre 2010, an der auch Rochelle Buffenstein beteiligt war, zeigte, dass es selbst unter Laborbedingungen nicht möglich ist, mit Zellen von Nacktmullen eine Tumorbildung auszulösen. Hierzu wurde in Kultur ein Virus in Hautzellen von Nacktmullen eingeschleust, das ein Onkogen exprimiert. Diese Zellen wurden anschließend in Mäuse injiziert. Die injizierten Hautzellen zeigten in der Maus ein kurzes Wachstum, was aber schnell einbrach, und gingen dann zugrunde. Führt man den gleichen Versuch mit Zellen von Mäusen oder Ratten durch, bildet sich an der Injektionsstelle der Maus innerhalb weniger Tage ein Tumor.

 

Nun bleibt es herauszufinden, warum diese Tiere und ihre Zellen dem natürlichen Altern so nachhaltig trotzen können und worin diese scheinbar einzigartige Resistenz gegen Krebs begründet ist.

 

Anti-Aging der besonderen Art durch Hyaluronsäure

 

An der Universität von Rochester untersuchten Wissenschaftler, ob sie in Hautkulturen von Nacktmullen Tumorwachstum auslösen können. Im Jahre 2013 fanden sie heraus, dass dies nicht möglich ist, obwohl die Methode bei Zellen anderer Nagetiere gut funktioniert. Die Forscher konnten ein bestimmtes Molekül in der Haut der Tiere dafür verantwortlich machen: Hyaluronsäure.

 

Hyaluronsäure kennen viele als Anti-Aging Zusatz in kosmetischen Produkten. Hersteller und auch zahlreiche Studien versprechen bei richtiger Anwendung eine Reduktion von Falten, aber wirklich länger leben wird deswegen wohl niemand. Bei den Nacktmullen ist das anders. Die Hyaluronsäure in ihrer Haut ist besonders lang, etwa 6-mal so lang wie bei anderen Säugetieren. Das kettenförmige Molekül bildet einen wichtigen Teil der Extrazellulärmatrix, also des Raumes zwischen den Zellen. Dort bindet es große Mengen Wasser und hält dadurch die Haut elastisch und stabil.

 

Nacktmulle besitzen kein Fell und verbringen ihr gesamtes Leben unter der Erde. Dabei bleibt es nicht aus, dass sie sich an Steinen oder Wurzeln kratzen. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die besonders lange Hyaluronsäure die Haut gegen diese speziellen Strapazen schützt und geschmeidig hält. Die Tatsache, dass sie scheinbar die Resistenz gegen Krebs vermittelt, scheint tatsächlich eher ein Nebeneffekt zu sein.

 

Wird aus der Hautkultur der Nacktmulle die Hyaluronsäure entfernt, dann bilden sich durch Zugabe karzinogener Substanzen genauso Tumore wie bei den Zellen von Mäusen und Ratten. Für diesen Effekt ist die Bindung von Hyaluronsäure an CD44 Rezeptoren auf der Oberfläche von Hautzellen verantwortlich, die das Wachstum der Zelle kontrollieren. Dabei wird die Expression bestimmter Proteine in Gang gesetzt, die die Umwandlung in eine unkontrolliert wachsende Tumorzelle verhindern.

 

Interessanterweise besitzen auch Mäuse, Ratten und Menschen diese Rezeptoren, nur eben kürzere Hyaluronsäure. Ebenfalls interessant ist die Tatsache, dass Tumorzellen besonders viele CD44 Rezeptoren exprimieren, ein Rezeptor, der spezifisch für Hyaluronsäure ist. Durch die Erkenntnisse von den Nacktmullen ergaben sich ganz neue Forschungsfragen für die Krebstherapie. Ist es möglich, mit Hyaluronsäure, einem natürlichen Baustein im menschlichen Gewebe, der frei von jeglichen Nebenwirkungen ist, Krebs zu behandeln? Bedarf es der sehr langkettigen Form der Nacktmulle oder gingen auch größere Mengen einer kürzeren Form, die besser in den Patienten eingeschleust werden kann?

 

Dank der Untersuchungen an den Nacktmullen befassen sich seitdem zahlreiche Studien mit der Wirkung von Hyaluronsäure zur Bekämpfung von Tumoren. Besonders in der Entwicklung von Nanopartikeln für einen gezielten Angriff von Tumorzellen hat sich Hyaluronsäure mittlerweile etabliert.

 

Nacktmulle verfügen über effektivere Mechanismen der DNA-Reparatur

 

Wie bereits eingangs erwähnt, spielen Schädigungen der DNA, die sich im Laufe des Lebens anreichern, eine große Rolle beim natürlichen Alterungsprozess. Derartige Schäden können spontan oder durch Einwirkung von außen (z.B. durch Strahlung) erfolgen. Eine Vielzahl von Reparaturmechanismen ist dafür zuständig solche Schädigungen möglichst schnell zu beheben. Doch jede Reparatur birgt die Gefahr, dass etwas schief läuft, das Erbgut verändert wird und die Zelle Schaden nimmt. Sie könnte sterben oder auch bösartig entarten und einen Tumor bilden. Auch hier haben Nacktmulle deutlich effizientere Mechanismen entwickelt als alle anderen Nagetiere. Im Jahr 2019 publizierte dieselbe Forschungsgruppe, die die Bedeutung der Hyaluronsäure herausfand, den ersten Nachweis, das Nacktmulle über deutlich effizientere Mechanismen verfügen, ihre DNA zu reparieren.

 

Das Protein SIRT6 ist dafür zuständig DNA-Schädigungen zu erkennen und passende Reparaturmechanismen einzuleiten. Dabei ist es äußerst stabil und kommt bei allen Säugetieren vor. Studien konnten bereits zeigen, dass Tiere die über verhältnismäßig wenig SIRT6 verfügen kürzer leben, als solche, die über mehr verfügen. Interessanterweise ist es aber nicht nur die Menge, sondern auch die Effizienz dieses Proteins, die über Langlebigkeit entscheidet. Die Studie verglich SIRT6 aus 18 unterschiedlichen Nagetierspezies und fand heraus, dass minimale Veränderungen im Aminosäurerest der Proteine darüber entscheiden, wie gut es funktioniert. So verfügen besonders langlebige Nager, wie Nacktmulle und Biber über deutlich effizientere Formen von SIRT6. Damit können insbesondere schwerwiegende Doppelstrangbrüche der DNA nahezu fehlerfrei repariert werden. Durch diese verbesserte Fähigkeit zur DNA-Reparatur leben Nacktmulle deutlich länger als Mäuse und zeigen weniger Alterungserscheinungen, die letztlich das Resultat angehäufter Schädigungen darstellen.

 

Inwieweit sich diese Erkenntnisse allerdings für den Menschen zunutze machen lassen ist unklar. Spannend bleibt allein die Tatsache, was wir alles von den bemerkenswerten Nacktmullen lernen können, die von vielen Menschen als hässliche Viecher abgetan werden.